Compoundbogen
Der Compoundbogen ist eine moderne Ausführung des Bogens, die 1966 von Holless Wilbur Allen in den USA erfunden wurde. Das Patent mit der Nummer 3.486.495 wurde mit dem 30. Dezember 1969 erteilt.[1] Das auffälligste Merkmal sind kleine nockenähnliche exzentrische „Kurvenscheiben“ bzw. Rollen (engl. camwheels) an den Bogenenden, kurz Cams genannt. Sie verfügen über zwei verschiedene Durchmesser, auf denen Kabel oder Sehnen aufgerollt sind. Im ungespannten Zustand ist auf dem größeren der beiden Durchmesser die Sehne aufgerollt. Beim Spannen des Bogens wird die Sehne des Bogens vom großen Durchmesser abgerollt und auf dem kleinen Durchmesser wird das am gegenüberliegenden Wurfarm befestigte Kabel aufgerollt. Die Cams sind zusätzlich exzentrisch aufgehängt.
Der Compoundbogen wird oft mit dem Flaschenzug in Verbindung gebracht, dieser fand jedoch nur bei früheren Modellen Anwendung, die über mehr als zwei Rollen verfügten. Weil das Zugkabel am gegenüberliegenden Wurfarmende befestigt ist und über eine Rolle läuft, lässt sich das ganze System auch als feste Rolle begreifen, was keine Kraftreduktion bewirkt.
Moderne Compoundbögen wenden wie bei einem Wellrad das Hebelgesetz an. Die sich nach außen wegdrehende Rolle ist wie ein starrer Hebel, der auf die Drehachse wirkt. Durch die exzentrische Aufhängung der Rollen/Cams verändert sich der Angriffswinkel und der Hebelarm, und man kann so immer im effektivsten Bereich arbeiten. Werden die Rollen/Cams mit der Bogensehne nach außen gezogen, verlängert sich der Hebelarm. Diese Mechanismen sind beim Compoundbogen in einer praktischen Anwendung umgesetzt. Dadurch ergibt sich im Gegensatz zu anderen Bogen ein nicht-linearer Kraftverlauf beim Auszug:
Mit steigendem Auszug nimmt die Kraft zunächst stetig zu (wie auch bei anderen Bogen), um dann aber beim Überschreiten des sogenannten Gipfel-Zuggewichtes schlagartig abzunehmen. Der Bogenschütze hält dann bei voll ausgezogenem Bogen nur noch einen Bruchteil des Gipfelzuggewichtes auf der Hand. Die Zugreduzierung kann bis zu 99 % betragen, d. h. bei einem Gipfelzuggewicht von 50 Pfund muss der Schütze nur 0,5 Pfund im Auszug halten. Dadurch kann der Bogen ruhiger gehalten werden und das Zielen fällt wesentlich leichter. Typische Werte liegen hier um die 70 %, so dass im Auszug etwa 15 bis 20 Pfund gehalten werden müssen.
Ablaufschema eines „Fury-Cam-Wheels“; erst nach einer 180° Drehung ist das Gipfelzuggewicht überschritten, der Hebelarm am Cam der (gelben) Bogensehne vergrößert sich, während er sich an der (roten) „Arbeitssehne“ verkleinert.
Die Formgebung der Cams bestimmt das Verhalten des Bogens maßgeblich, im einfachsten Fall sind sie kreisrund. Durch die Form der Cams kann beispielsweise die Reduktion des Zuggewichts oder die im gespannten Bogen „gespeicherte“ Energie beeinflusst werden. Manche Cams verfügen über austauschbare Module, mit deren Hilfe die Auszugslänge bzw. das Zuggewicht des Bogens angepasst werden kann.
Bei modernen anatomisch geformten Compoundbögen unterscheidet man Rechts- und Linkshandbögen (Beispiel Rechtshandbogen: Linke Hand hält den Bogen, rechte Hand hält den Pfeil, gezielt wird mit dem rechten Auge).
Durch seine Konstruktion kann ein Compoundbogen bei gleicher oder sogar größerer Auszugslänge erheblich kürzer gebaut werden und ist entweder leichter zu ziehen oder kann mit sehr viel höherem Zuggewicht bei gleichem Kraftaufwand gezogen werden. Die Belastung der beweglichen Teile ist zudem geringer, da der schlagende Teil der Sehne und die Bogenarme viel kürzer sind und die Kabelzüge, in denen der Großteil der Spann- bzw. Schussbewegung abläuft, sich nur in Richtung ihres Verlaufes bewegen müssen. Dies verringert Vibrationen beim Schuss und den Sehnenverschleiß erheblich. Aus diesen Gründen ist der Compoundbogen gut für die Jagd geeignet: Er ist kompakter und kann länger in 'schussbereiter' Position (voll ausgezogen) gehalten werden als andere Bogentypen.
Auf einem Compoundbogen werden die Pfeile zunächst schwach und dann immer stärker beschleunigt. Hierdurch wird das Material der Pfeile weniger gestresst und Abschussgeschwindigkeiten von mehr als 100 m/s bzw. 360 km/h erreicht. Durch die hohe Geschwindigkeit ist der Pfeil schneller im Ziel (weniger Ablenkung durch Wind) und die Flugbahn flacher. Eine flache Flugbahn des Pfeils ist erwünscht, da sie die Einflüsse von Zielfehlern in der Höhe mindert. Solche Zielfehler entstehen etwa durch eine falsch eingeschätzte Entfernung zum Ziel. Aus diesem Grund sind Compoundbögen sehr beliebt beim sogenannten Feldbogenschießen, wo die Entfernung zum Ziel geschätzt werden muss. Auch ist die maximale Reichweite von Compoundbögen größer als bei anderen Bogentypen.
Da der Compoundbogen unter hoher Spannung steht, wird für die Wartung oft eine Bogenpresse verwendet. Im Gegensatz zu anderen Bogentypen wird der Compoundbogen in gespanntem Zustand aufbewahrt, man muss also nicht vor dem Gebrauch zuerst die Sehne aufziehen.
Der Compoundbogen wird üblicherweise mit folgender Ausstattung verwendet:
Visier vorne am Bogen, meistens mit einer Lupe (vierfache bis achtfache Vergrößerungen sind üblich);
in der Sehne eingearbeitet ein kleines Lochvisier ("Peep Sight"), durch das man auf das vordere Visier schaut (wie Kimme und Korn);
Stabilisatoren, also Stäbe, die zusätzliches Gewicht geben;
Pfeilauflage.
Die Sehne wird häufig mit einem mechanischen Auslöser statt mit den Fingern gezogen. Diese sog. „Release“ werden an der Sehne oder einer an der Sehne befestigten Schnur eingehakt und beispielsweise über einen Auslösehebel ausgelöst. Die Verwendung eines Release vermindert zusätzlich die Schlingerbewegung des Pfeiles deutlich, was der Genauigkeit zugute kommt, sowie die Gefahr, die Kabel aus der Führungsnut der Cams zu ziehen (Derailment), was eine gefährliche, explosionsartige Zerstörung des Bogens nach sich zöge.